Bangkok & Sydney| Die innere Reise
Am letzten Abend in Bangkok hatte ich eine ziemlich üble Lebensmittelvergiftung. Und dabei hatte ich an dem Abend gar nicht wie am Tag zuvor von einem dieser offenen Straßenstände gegessen, wo man ja vermuten könnte, dass sowas einem westlichen Magen schnell mal passieren kann. Ich war in einem Restaurant gewesen. Wie auch immer, jedenfalls war es eine schlaflose Nacht und ich hatte Sonntag echt Angst, es nicht zum Flughafen geschweige denn nach Australien zu schaffen.
Merke: Die Touristenattraktion Nr. 1 zu besuchen, ist keine ruhige Aktivität, auch wenn es sich dabei um einen Tempel handelt
Da ich um 12h aus dem Hotel auschecken musste (da war ich zum Glück nur noch schlapp, die ganzen „Entleerungsprozesse“ waren durch) und der Flug aber erst abends ging, dachte ich, es sei vielleicht eine gute Idee, etwas Ruhiges zu machen – wie zum Beispiel den Tempel mit dem riesigen liegenden Buddha zu besuchen. Rückblickend legt die Idee die Frage nahe, ob ich beim Entleeren meines Körpers nicht auch einige Teile meines Gehirns abgegeben habe … denn natürlich entsprachen weder der Tempel als Touristenattraktion Nr. 1 noch der Weg dorthin der Definition von „etwas Ruhiges“! Noch dazu involvierte der Weg dorthin Bootfahren. Es ging aber erstaunlich gut und ich sagte mir, wenn ich das hier schaffe, dann bekomme ich auch den Flug auf die Reihe. Die Übelkeit hielt sich zum Glück tatsächlich zurück. Schlimm war es nur, wenn es irgendwo nach Essen roch. Und dass ich nach dieser Nacht extrem durstig war, aber nur Minischlückchen trinken konnte, wenn ich das Wasser unten behalten wollte.
Hauptsache Leben – Hauptsache die richtige Cola!
Irgendwie ging es, nur auf dem Weg zum Flughafen kam dann nochmal eine Schreckensphase, in der mir so schlecht wurde, dass ich dachte, gleich jemanden um Hilfe bitten zu müssen. Das wollte ich wirklich nicht, denn das hätte mit Sicherheit bedeutet, dass ich den Flieger nicht schaffe und alles in mir wollte doch plötzlich nur noch weg aus dieser Stadt! Es ging zum Glück vorüber. Am Flughafen war dann nur noch große Müdigkeit – und ein unglaublicher Durst auf Coca Cola!? Ich trinke wirklich so gut wie nie Cola (und auch sonst keine Limo), deshalb war es ein bisschen lustig. Ich hatte wirklich ein suchtartiges Verlangen nach dem Zeug. Es musste aus irgendwelchen Gründen auch Coca Cola sein, also klapperte ich ein paar Läden ab (die meisten hatten nämlich Pepsi), um „die richtige“ Cola zu finden. Schon komisch, im einen Augenblick ist alles egal, Hauptsache Leben (oder Sterben, je nachdem, wie dramatisch man drauf ist) – und im nächsten Augenblick ist nichts wichtiger als die richtige Zuckerbrause zu finden … Das menschliche Leben, also echt ey!
Wieder aus dem Flugzeug geschickt – Das hätte ich sein können!?
Es wird noch ironischer: Im Flugzeug saß ich in der mittleren Reihe, außen an der Seite, dann waren zwei leere Sitze – und dann saß dort auf dem anderen äußeren Platz eine Frau, die ziemlich mitgenommen aussah. Es stellte sich heras, dass sie – na was wohl – eine Lebensmittelvergiftung hatte. Die Crew rief einen Arzt und sie musste den Flieger wieder verlassen. Abgesehen davon, dass ich Mitgefühl für die Frau empfand, war da natürlich auch der Gedanke: Das hätte ich sein können! Gott sei dank bin ich es nicht … So kam es, dass ich plötzlich in einer komplett leeren Reihe saß und mich sogar hinlegen konnte, was nach der Nacht davor echt ein Segen war. Ich wachte dann auch erst wieder zum Frühstück auf.
Alles nur Zufall – oder?
So endete also mein kurzer Bangkok-Aufenthalt mit einem ziemlichen Schock. Und du kennst mich inzwischen ja vielleicht gut genug um zu wissen, dass ich nicht an Zufälle glaube. Ich habe das Gefühl, dass das nicht einfach eine Lebensmittelvergiftung war, sondern das da einfach ein ziemlich gewaltiger Transformationsprozess im Körper am Werk war. Als ich 2007 für meine Auslandssemester nach Schweden aufbrach, hatte ich schlimmes Reisefieber, was ich mir überhaupt nicht erklären konnte, da ich bis dahin nie aufgeregt war zu reisen. Meine Eltern, die für den Abschied nach Bremen gekommen waren, sind sogar noch zur Apotheke gegangen, um Schmerzmittel zu besorgen. Ich bin „natürlich“ trotzdem geflogen – und in der Jugendherberge in Stockholm, wo ich Zwischenstop einlegte, ging es mir so elend wie noch nie in meinem Leben. In Sundsvall angekommen war dann alles wieder gut. Was mir damals nicht bewusst war war, was für eine große Bedeutung dieser Auslandsaufenthalt für den weiteren Verlauf meines Lebens haben würde. Ich hatte ja keine Ahnung, dass ich letztlich sechs Jahre in diesem Land leben würde, davon drei an dem Ort, an dem ich „zufällig“ meine Auslandssemester verbrachte …
Erklärungen machen es mir leichter, eine Situation zu akzeptieren
Ich denke, mit dieser Reise ist es ähnlich, wobei mir natürlich deutlicher im Bewusstsein steht, dass dies eine einschneidende und wegweisende Erfahrung in meinem Leben ist. Also bin ich nicht wirklich von diesem körperlich sehr anstrengenden Auftakt überrascht, auch wenn das den Schock des Erlebnisses nicht mildert. Immerhin, ich finde es immer tröstlich, eine Erklärung zu haben. Dann muss ich nicht auch noch in den Widerstand gehen und mich damit abmühen zu versuchen etwas zu bekämpfen, was ich sowieso nicht ändern kann.
Schlaflos in Sydney – Heimweh …
Der Schock kam aber nicht nur von der Lebensmittelvergiftung. Ich spürte, dass er noch hier in Australien andauerte. Durch die Zeitverschiebung und die damit einhergehende Schlafstörung (ich gehöre ja sowieso nicht zu den Menschen, die so ohne weiteres einschlafen können) fühlte ich mich zusätzlich angeschlagen und das wirkt sich natürlich auch auf den Geist aus. Dienstag Nacht, als ich schlaflos im Bett lag, war ich so richtig fertig. Ich fühlte mich so fehl am Platz (dabei bin ich sogar in einem richtig netten Airbnb gelandet, habe ein Zimmer bei einer Familie, so dass es mich ein bisschen an mein Austauschjahr in den USA erinnert, was ja wirklich eine sehr schöne Erfahrung war). Es fühlte sich an, als würde ich mich nirgends jemals wieder „richtig“ fühlen können.
… aber wo ist Zuhause?
Ich hatte richtig dolles Heimweh und gleichzeitig das Gefühl, dass das Gefühl sich gar nicht auf einen bestimmten Ort richtete. Bzw., sobald ich dachte „Ich will wieder nach xy“ (tatsächlich vermisse ich meistens die Natur in Schweden, wenn sich so ein Heimwehgefühl einschleicht), kam gleich das ganz deutliche Wissen, dass das nicht mein Zuhause ist. Dass, falls ich nun wirklich dem Gefühl nachgeben würde und mich entschließen, alles abzubrechen und ein Ticket nach wohin auch immer zu buchen, mich dann dort wieder das Gefühl überfallen würde, nicht „richtig“ dort zu sein.
Zuhause ist, wo du bist – Der wahre Grund für diese Reise
Ich hatte mich ja vor einer Weile mit der Frage beschäftigt, was der Sinn und Zweck dieser Reise ist. Auch wenn es stimmen mag, dass die Idee dazu aus einem gewissen Fluchtimpuls (nämlich genau dem Gefühl „Ich bin hier nicht richtig, also breche ich alle Zelte ab und gehe woanders hin“) geboren wurde, so war ich mir sicher, dass da auch noch etwas anderes hinter steckte. Denn auf einer tieferen Ebene, so meine Überzeugung, ist die Reise dennoch stimmig und sinnvoll. Also was ist der eigentliche Grund? Ich bin überzeugt, dass es darum geht, das Zuhause in mir zu finden. Denn das habe ich inzwischen über das Heimwehgefühl erkannt: es überkommt mich, wenn ich mich nicht spüren kann, wenn ich mich nicht in meiner Umgebung wiederfinden kann.
Wenn du dich in der Welt nicht erkennst, nimm deinen Platz ein
Die Welt ist unser Spiegel und wenn wir vor dem Spiegel stehen und wir uns darin nicht erkennen, dann ist das beängstigend. Aber der eigentliche Grund, warum wir uns nicht sehen können ist, dass wir unseren Raum nicht einnehmen. Dass wir uns in einer fremden Umgebung reflexartig erstmal zusammenziehen, anstatt uns auszudehnen, ist verständlich. Uns ist nicht sofort klar, wo und wie wir an diesem fremden Ort unseren Platz einnehmen können. In dieser Phase der Orientierungslosigkeit befand ich mich, als ich hier in Australien ankam.
Zugehörigkeitsgefühl und Heimatlosigkeit – beides liegt in dir, nicht in deiner Umgebung
Ich bin fest davon überzeugt, dass genau diese Erfahrung, so unangenehm sie sich im ersten Augenblick anfühlen mochte, wichtig für mich war. Denn sie gestattete es mir nicht, den Halt, den ich in meiner Vorstellung von „Zuhause“ suche, auf meine Umgebung zu projizieren. Denn das ist ja mein Muster, nicht wahr? Ich fühle mich an einem Ort wohl, ich nenne ihn Zuhause. Irgendwann beschleicht mich Unwohlsein, ich ziehe den Schlussatz, das hier ist nicht Zuhause, ich gehe weiter. Dabei ist es in Wahrheit ja so, dass das Wohlsein und das Unwohlsein, mein Zuhause und meine Heimatlosigkeit in mir liegen.
In dieser anfänglichen Phase der Orientierungslosigkeit war das Gefühl der Heimatlosigkeit einfach sehr stark – und auch das Leid daran. Als mir das klar wurde, verschwand nicht sofort das Gefühl des Verlorenseins, aber ich konnte mich immerhin darin erinnern, dass die Antwort auf mein Leid ist, meinen Raum einzunehmen. So kann ich mich wieder spüren und DAS ist das echte Zuhausegefühl.
Nimm deinen Raum ein – Sei das, was dir fehlt
Wie nimmt man den eigenen Raum ein? Für mich bedeutet es, erstmal zu beobachten, was genau es ist, das mir an dem jeweiligen Ort fehlt. Denn ich glaube, dass wir unseren Raum einnehmen (was das gleiche ist wie unsere Aufgabe erfüllen), wenn wir das in die Welt bringen, was wir in ihr vermissen. Es mag etwas kontra-intuitiv klingen, dass wir das sein sollen, was uns fehlt, aber je mehr ich diesen Glauben durch Taten auf die Probe stelle, desto mehr stelle ich fest: genau so funktioniert es. Wenn ich das für andere tue, was ich mir wünschte, dass jemand es für mich täte, dann stellt sich bei mir tatsächlich das Gefühl ein, nach dem ich mich sehne – als hätte ich das erhalten, was ich gegeben habe.
Ich vermisse oft ein Gefühl von Mütterlichkeit in meinem Leben, an den Orten, an denen ich mich befinde. Inzwischen weiß ich, dass dieses Gefühl ein Appell an mich ist. Sei fürsorglich zu anderen.
Ich sagte ja, dass mein airbnb ein Zimmer im Haus einer Familie ist. Nun ist es so, dass die Mutter diese Woche unterwegs ist. Der Vater und der Sohn sind sehr nett zu mir, aber im ersten Moment fand ich es dennoch schade, dass nicht auch eine Frau anwesend ist. Es dauerte einen Augenblick, bis ich verstand: du bist zwar nicht die Mutter, aber du bist jetzt hier. Und die Antwort, was ich hier tun kann, ist so einfach: dem Kind beim Spielen Gesellschaft leisten. Mir fehlt oft die Energie, wenn es darum geht, mit Kindern zu spielen. Aber das ist gar nicht von mir gefordert! Das Kind meiner Gastgeber ist schon total glücklich, wenn ich ihm zuhöre und ihm beim Spielen zuschaue. Als ich gestern von meinem Ausflug zurück kam, kam er auch sofort an die Tür und fiel mir zur Begrüßung um den Hals. Das hat mich sehr gefreut und mir wird immer mehr bewusst, dass ich oft völlig überzogene Vorstellungen davon habe, was die Welt von mir erwartet, welch große Taten ich vollbringen müsste um zu genügen oder „mein Potenzial zu erfüllen“.
Es sind die winzig kleinen Dinge die zählen und unser Lebenswerk ausmachen. Diejenigen, die den Alltag bestimmen – und das sind die ersten, die wir übersehen, wenn wir uns mit der Frage nach unserer Lebensaufgabe befassen, weil wir meinen, dass sich dahinter etwas unfassbar Außergewöhnliches verbergen müsste.
„Ich sehe dich“ ist eine meiner Lebensaufgaben. In welcher Form ich sie erfüllen darf, das präsentiert mir der Augenblick.